Die Welt in den Augen des Hans-Georg Maaßen

Was kommt dabei heraus, wenn Kapitalismus- und Kulturkritik auf die Leugnung der eigenen Verstrickung und Mitverantwortung treffen und stattdessen zu einer Schuldzuweisung an ein Feindbild ausgeformt werden, dem man die Etikette „Pseudolinke“ und „Wirtschaftsglobalisten“ anheftet? Ein Weltbild, das nicht nur im Kopf von Ex-Verfassungsschutzpräsident und CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen existiert.

 

Das Pamphlet

 

Kürzlich erschien im Magazin Cato ein Artikel, in dem Maaßen gemeinsam mit dem Systeminformatiker Johannes Eisleben offenbart, wie er die politischen Verhältnisse in der Welt sieht. Man könnte den Text als dystopische linke Systemkritik beiseite legen, wenn sie nicht an mehr oder weniger konkret adressierte Menschen zur Feindbildskizze ausgeformt würde. Ob das antisemitisch ist, tut nichts zur Sache. Würde ich behaupte, alle Männer, die Brillen mit kleinen eierförmigen Gläsern tragen, führen Böses im Schilde, dann wäre das nicht zwangsläufig antisemitisch, nichtsdestotrotz an den Haaren herbeigezogener Schwachsinn und zudem brandgefährliche Hetze.

 

AugenMaaß

 

So behaupten Maaßen und Eisleben, „Pseudolinke“ und „Wirtschaftsglobalisten“ hätten sich verbündet, um anknüpfend an einem seit 50 Jahren zu beobachtenden „kulturellen Niedergang“ des Westens Demokratie und Pluralismus zu beseitigen und einen „neuen Totalitarismus“ zu entwickeln. Was für die beiden Autoren dieser attestierte „kulturellen Niedergang“ sein soll, darüber kann man als Leser nur spekulieren: Der Einstieg in den Artikel ließe vermuten, gemeint sei ein „neoliberaler Rollback“ seit dem Militärputsch in Chile 1973. Mir erscheint diese Lesart unwahrscheinlich. Ich tippe eher auf Emanzipationsbewegungen, die ab den 1970ern gesellschaftliche Relevanz nicht zuletzt in Wissenschaft und Medien erlangten. Der verstärkte Einsatz für Klimaschutz, internationale Solidarität und Flüchtlingshilfe sind nach Lesart von Maaßen/Eisleben ideologische Verfehlungen, die von interessierter Seite massiv finanziell gefördert und von einem „aggressiven Propaganda­apparat“ aus Medien, NGOs und Politikern bedient werden.

 

Sie sehen darin gefährlichen Entwicklungen, die Gesellschaften und Staaten zersetzen würden: Rauchverbote, Dieselfahrtverbote, Gender-Sprache, Rücksichtnahme auf Minderheiten, Gleichstellungs- und Datenschutzbürokratie, Energiewende, Verschärfung der Waffengesetze, Kontrolle in Massentierhaltungsbetrieben, Kriminalisierung von häuslicher Gewalt usw.. Auf die Motive und Hintergründe dieser rechtlichen Interventionen wird nicht eingegangen, geschweige in Erwägung gezogen, dass zahlreiche Freiheiten erst durch die Emanzipationsbewegungen der letzten 50 Jahre hinzugewonnen wurden.

 

Menschenkenntnis Fehlanzeige

 

Ein sachlicher Diskurs unter Beteiligung Rechtsliberaler und Konservativer ist heute mehr denn je wünschenswert. Maaßen und Eisleben jedoch arbeiten mit unbewiesenen Unterstellungen, die das Potenzial zur Feindbildschulung in sich bergen. Sie sprechen von einer „Verschmelzung der vormals sozialistischen Linken mit dem Wirtschaftsliberalismus“, die einerseits „Projektionsfläche für die politischen Erlösungshoffnungen linker Denker“ sei, während „Wirtschaftsglobalisten sie als Rechtfertigung ansehen“ würden, „globales Eigentum und globale Profite zunehmend auf einige tausend Familien zu konzentrieren, die sich daranmachen, bald alles [!] zu besitzen.“ Die Orientierung an sozial-ökologischer Nachhaltigkeit und den SDGs der Vereinten Nationen soll also eine globalistisch eingefädelte Kapitalkonzentrationsmasche sein? Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob die Autoren tatsächlich so querdenken (im Ballweg’schen Sinne) oder absichtlich geradezu abenteuerliche Unterstellungen zu den Motiven der von ihnen als „Pseudolinke“ und „Wirtschaftsglobalisten“ bezeichneten Menschen vornehmen: So behaupten sie, „Pseudolinke“ und „Wirtschaftsglobalisten“ sei die „tiefe Verachtung für normale, regional verwurzelte Menschen sowie für deren Traditionen und Lebensstile“ gemein. Einen Beweis dafür bleiben sie schuldig. Niemand wird deswegen verachtet, weil er kulturessenzialistisch und provinziell denkt oder einen einfach gestrickten Lebensentwurf mit kleinem Wirkungskreis pflegt. Kritisiert bis verachtet werden jedoch Handlungen, die von intoleranter Engstirnigkeit ausgehen – einerlei ob aus religiös-fundamentalistischen, antisemitischen oder rassistischen Affekten. Nicht die weniger progressive Lebensweise, sondern ein andere Menschen bedrohender Ismus ist es, dem Einhalt zu gebieten ist.

 

Auf die Formel: Verantwortungskreis < Wirkungskreis

 

Maaßen und Eisleben verweigern sich dem Eingeständnis, dass die skizzierten – zweifelsohne bedenklichen – gesellschaftlichen Entwicklungen kein Ergebnis eines Plans sind, sondern Folge der Lebensweise nahezu aller Bewohner der wohlhabenden Länder, insbesondere jene mit einem höheren sozialen, ökonomischen und ökologischen Wirkungskreis. Nicht nur, dass man sich der Mitverantwortung entzieht und sich als Verteidiger angeblicher Opfer inszeniert – sie fallen auch noch all jenen in den Rücken, die sich für den Erhalt regionaler Kulturen, für Gemeinschaftlichkeit und in generationsübergreifenden Projekten engagieren. Sie diskreditieren Menschen, die ehrenamtlich oder in schlecht bezahlten Jobs bei NGOs und im staatlich geförderten Bildungswesen arbeiten, um die sozialen und ökologischen Kollateralschäden des allein auf ökonomische Effizienz getrimmten Neoliberalismus zu lindern oder sprichwörtlich den Dreck aufsammeln, für dessen Entsorgung sich kein Markt aus freien Stücken schert.

 

Feindbild-Baukasten für Polit-Hooligans

 

Maaßen und Eisleben stellen weiterhin fest, „Pseudolinke“ und „Wirtschaftsglobalisten“ hätten als „Richter, Hochschullehrer, Politiker, Journalisten und Manager von Großunternehmen zentrale Positionen übernommen“ und als „EU- und UN-Bürokraten, Befürworter der ökonomischen Globalisierung sowie Manager multinationaler Konzerne und deren Dienstleister“ die Schalthebel der Macht besetzt. Diese Zustandsbeschreibung liest sich wie aus dem Feindbild-Baukasten für Polit-Hooligans: Man nehme die derzeit emotionalisierendsten Negativ-Zuschreibungen und backe daraus ein leicht zu konsumierendes Feindbild: „EU, Bürokraten, Schalthebel der Macht, Globalisten, multinationale Konzerne, Manager…“. Das Fazit: Es geht sowieso nicht repräsentativ und demokratisch zu, also könne man auch gerne vom revolutionären Umsturz phantasieren, um die „falschen Eliten“ durch „richtige Eliten“ zu ersetzen. So versprechen sich Maaßen und Eisleben „Rettung“ in einer gewaltigen Wirtschaftskrise und den darauf folgenden harten Verteilungskämpfen. Ein Bürgerkrieg würde heilsame Kräfte entfalten. Mir kommt das kalte Grausen. Maaßen und Eisleben klingen so, als begrüßten sie Bewegungen und Aktivitäten, die unseren Staat destabilisieren, um sozusagen eine „revolutionäre Situation“ im Lenin’schen Sinne zu provozieren.

 

Wir werden Maaßen jedoch nicht gerecht, ihn als Wiedergänger von Heinrich Brüning oder Franz von Papen zu betrachten. Geschichte wiederholt sich – allen pseudoweisen Prophezeiungen zum Trotz – eben nicht. Die Gefahr, die von neurechten Bewegungen ausgeht, ist deshalb nicht kleiner als vor 90 Jahren. Sie ist anders. Wer das nicht erkennt, könnte noch sein blaues Wunder erleben.

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