Überall Feinde der Freiheit?

Freiheit ist einmal mehr zu einem geheiligten Schlagwort verkommen: Liberale verstehen darunter in erster Linie den Schutz der Bürgerrechte. Rechte kidnappen das Wort für ihre Erzählung von der Freiheit des Volkes, für die sie zu kämpfen für sich beanspruchen. Linke sehen die Freiheit von Schwächeren in Gefahr: durch ökonomische Zwänge, in Form von Rassismus, bis hin zur Gefahr für die Freiheit, zu überleben. Sie sind aktuell besonders alarmiert, weil einige sich selbst so bezeichnende Liberale und Konservative keine Scheu haben, rechte Narrative zu multiplizieren. Aus Angst davor, diese Dynamik zu verstärken, verweigern sie den Diskurs mit ihnen, was eine Lagerbildung derer mit „richtigen“ Rechten fördert. Dabei halte ich es für enorm wichtig, auf die unvereinbaren Unterschiede zwischen identitären kulturessentialistischen Rechten und weltoffenen hyperkulturalistischen Liberalen zu unterscheiden. Echte Konservative jedoch gehen zwischen diesen beiden Polen tatsächlich immer mehr verloren. Einerseits wollen sie nicht als illiberal gelten, andererseits geht ihnen die Ambiguität in der Spätmoderne schon lange viel zu weit.

 

Popanz Antifa

 

Die Antifa ist der Fiebertraum jener, die ihren kalten Bürgerkrieg gegen den Linksgrünsiff führen und dafür ein gefährliches Terrornetzwerk imaginieren, obwohl es sich tatsächlich vielmehr um kaum bewaffnete schlecht organisierte schmalbrüstige dünnarmige Steineschmeißer handelt, deren größte Verbrechen darin bestehen, durch das Anzünden von Autos und Mülltonnen eine widerliche Umweltverschmutzung zu verursachen und durch ihren verblendeten Hass auf die Polizei einige der dort arbeitenden Menschen ungewollt in die Fallen rechter Rattenfänger zu treiben. Einen Vergleich mit straff organisierten und international sehr gut vernetzten rechten Paramilitärs halten diese versprengten Antifa-Gruppierungen, für die Selbstdisziplin oder gar aufopferungsvolle Kampfbereitschaft Fremdworte sind, nicht einmal ansatzweise stand.

Die aus den vierziger Jahren stammende Warnung von Churchill, die Faschisten der Zukunft würden sich Antifaschisten nennen, bezog sich auf die aggressive Außenpolitik Stalins. Sie auf die Antifa in Deutschland anzuwenden, ist zwar beliebt, bewirkt aber eine haarsträubende Verharmlosung rechter Gewalt, der ernsthaften Bedrohung der staatlichen Ordnung und hat sich inzwischen bis tief in CDU, CSU und FDP ausgebreitet. Neurechte Infokrieger dürfen es als Erfolg verbuchen, dass ihre Narrative für einen bürgerlich-liberalen Nährboden anschlussfähig geworden sind. Sie haben sich gegenüber jeglichen Störungen immunisiert, indem sie jeden, der sich ihrem Treiben entgegen stellt, als Linksextremisten diffamieren. So erscheint jeder, der sich selbst als Antifaschist bezeichnet – etwa in seiner Profilbeschreibung bei Twitter – als Teil einer massiven linksextremen Bedrohungswand, einem Popanz aus Pappmasché von überbordenden Ausmaß!

 

Liberal oder Konservativ – aber normal!

Mein Eindruck: Konservative haben in einer VUCA-Welt ihren Kompass verloren. Was sollen sie bewahren, wenn die Welt sich einfach zu schnell dreht? Dabei gäbe es wirklich vieles, insbesondere zeitbeständige humanistische Grundwerte, für deren Bedeutung es zu werben gelte.

Die Marke Liberal hat zuletzt ebenso gelitten, weil Freiheit ohne Bezugnahme auf Verantwortung und Toleranz – von Gleichheit und Geschwisterlichkeit traut sich kaum jemand mehr zu sprechen, aus Befürchtung als Sozialist oder gar Kommunist diffamiert zu werden – wieder vermehrt als egomanisch-sozialdarwinistisches Schutzschild vor sich hergetragen wird.

Der Diskurs ist einfach derart emotional geworden, dass wir die Sachebene gar nicht mehr erreichen. Ich vermisse einen ruhigen, ja in sich ruhenden, Konservatismus, der die revolutionären geradezu bolschewistischen Gefahren neurechter Bewegungen erkennt. Ich vermisse auch einen vom marxistischen Klassendenken losgelösten Liberalismus, der sich vom angstgesteuerten Tunnelblick der Neo- und Schmalspur-Liberalen emanzipiert, die nur die eigenen Privilegien in Gefahr sehen und denen – aus mir unerfindlichen Gründen, da es sich angeblich um leistungsstarke Unternehmertypen handeln sollte – ein überdurchschnittlich großer Verantwortungskreis abhanden gekommen zu sein scheint.

Ich bleibe bis auf weiteres Optimist.

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